I: Herzlich willkommen zur dritten Staffel des Podcasts der Audi BKK. In diesem widmen wir uns einer Vielfalt an Themen, die Körper und Geist betreffen. Als ich den Begriff Frauen- und Männergesundheit zum ersten Mal gehört habe, war ich verblüfft. In einer Gesellschaft, in der die Gleichstellung vorangetrieben wird, erschien mir diese Aufteilung zunächst eigenartig. Doch nach kurzer Recherche verstand ich, dass es eklatante Unterschiede bei Gesundheit und Krankheit von Frauen und Männern gibt, worauf sich das biologische und soziale Geschlecht auswirken. Das fängt bei der Inanspruchnahme bei Vorsorgeleistungen an und geht über die Kommunikation von Symptomen über zu unterschiedlichen Umgängen mit Krankheiten. Die Ursachen sind teils biologisch-genetischer Natur, dadurch angeboren, aber häufig antrainiert durch sozial antrainierte Geschlechterrollen. Um die Ursachen und Auswirkungen der Unterschiede zu klären, darf ich Doktor Anke-Christine Saß in dem Podcast begrüßen, die an dem Robert-Koch-Institut arbeitet und auch Wissenschaftlerin ist. Unter anderem arbeitete sie in der Projektleitung an dem Frauengesundheitsbericht mit. Stimmt es, dass es sich pauschal sagen lässt, es gebe in der gesundheitlichen Lage zwischen Mann und Frau Unterschiede?
B: Ja, kann man auf jeden Fall sagen, wenn man sich die Lebenserwartungen anguckt, denn das ist das härteste Outcome von Gesundheit. Hier sehen wir Unterschiede von knapp fünf Jahren. Gehen wir in weitere Bereiche wie Erkrankungen und Gesundheitsverhalten, Inanspruchnahme der gesundheitlichen Leistungen, gibt es auch da Unterschiede. Man muss aber auch sagen, dass Gesundheit nicht bloß geschlechtsspezifisch ist, sondern andere Faktoren miteinschließt. Wichtig ist zum Beispiel die soziale Lage, namhaft finanzielle oder berufliche Situationen und das Bildungsniveau. Behinderungen haben auch einen Einfluss. Ebenso Migration oder sexuelle Orientierung. Aber auch die gesamte Lebenslage, ob jemand alleinerziehend ist oder Angehörige pflegt. Geschlecht ist ein wichtiger Parameter, der aber mit anderen zusammenwirkt.
I: Sie erwähnten, Frauen lebten circa fünf Jahre länger als Männer. Was ist dafür die Ursache?
B: In Deutschland leben Frauen aktuell durchschnittlich 83,4 Jahre. Das sind Zahlen für die Lebenserwartung neugeborener Mädchen. Bei neugeborenen Jungs 78,6 Jahre. Demnach fast fünf Jahre Unterschied, welcher sich in vergangenen Jahrzehnten nicht stark verändert hat. Seit den 1980er Jahren gibt es eine Abnahme, die Annäherung ist aber gering, wodurch diese Lücke bleibt. Forscher:innen hatten eine Idee, die Ursache herauszufinden, nämliche die Klosterstudie. Sie wurde in Bayrischen Klostern durchgeführt, indem Nonnen und Mönche verglichen wurden, die ja ähnliche Lebensstile führen. Der Unterschied ist nicht so groß wie außerhalb des Klosterlebens. Es wurde die dort ermittelte Lebenserwartung verglichen mit der Lebenserwartung von Männern und Frauen, die ähnlich leben. In dieser Gruppe war der Unterschied nur ein Jahr. Daraus wurde geschlussfolgert, dass biologisch-genetische Faktoren nur geringen Einfluss haben. Die restlichen vier Jahre Lebenserwartungsunterschied werden durch sozial-gesellschaftliche Verhaltensfaktoren bestimmt. Am meisten schlägt das Gesundheitsverhalten zu Buche, an erster Stelle genannt der Tabakkonsum, welcher bei Männern höher als bei Frauen ist. Auch hier gab es Veränderungen in den letzten Jahren durch Angleichung, besonders bei jungen Menschen. Die Folgen des Tabakkonsums schlagen sich meist Jahre später nieder, unter anderem durch chronische Krankheiten oder Lungenkrebs. Jener ist eine der Haupttodesursachen für Männer. Neben dem Tabakkonsum ist auch anderes riskantes Gesundheitsverhalten zu nennen, wie erhöhte Unfallgefahr, die zum einen durch Risikoverhalten entsteht, wodurch riskantes Autofahren fällt, aber auch gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen. Mehr Männer als Frauen arbeiten beispielsweise in der Baubranche und das ist ein risikobehafteter Arbeitsbereich als pädagogische Berufe, was ein eher typisches Berufsfeld für Frauen darstellt. Der soziale Bereich hat einen größeren Einfluss auf die Lebenserwartung.
I: Kann von typischen Männer- oder Frauenkrankheiten gesprochen werden?
B: Ja. Wenn man eng denkt, sind es die Krankheiten, die nur jeweils Männer oder Frauen treffen können, beispielsweise Prostata- oder Eierstockerkrankungen. Größer gedacht ist es spannend, wenn sie die gleiche Krankheit haben, die sich unterschiedlich zeigt und unterschiedliche Therapievarianten hervorruft. Dazu zwei Beispiele. Das erste Beispiel sind Herzkreislauferkrankungen. Diese Krankheitsgruppe gab den Ausschlag dafür, dass in den achtziger Jahren engagierte Frauen, Wissenschaftlerinnen und Praktikerinnen, auf unterschiedliches Kranksein bei Frauen und Männern aufmerksam gemacht haben. Ein Slogan besagte, dass Frauenherzen anders schlügen. Dieser machte aufmerksam auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und insbesondere Herzinfarkte. Bei Frauen und Männern zeigt sich jenes unterschiedlich, was unterschiedliche Diagnostik fordert. Viele würden sagen, dass Schmerzen im Brustkorb Symptome für Herzinfarkt seien. Das ist bei Männern so, aber bei Frauen zeigt sich das durch Luftnot, Übelkeit sowie Oberbauch- und Rückenschmerzen. In den Achtzigern war dieses Wissen nicht verbreitet. Dadurch kam es zu Verzögerungen bei der ambulanten Annahme von Frauen, denen diese Diagnose gestellt wurde. Dadurch sah man Unterschiede in der Sterblichkeit bei Herzinfarkten. Das änderte sich. Insofern sind Männer- und Frauenkrankheiten heute ein wichtiges Thema in der Medizin und Prävention. Das zweite Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, bei derselben Krankheit zwischen Frau und Mann zu unterscheiden, nämlich bei Depressionen. Die Erkrankungen bei psychischen Erkrankungen erfolgt gleichermaßen, bei Frauen äußern sich Depressionen aber durch Unruhe und Traurigkeit sowie Selbstzweifel. Dadurch erfolgt gute Diagnostik und Therapie. Männersymptome sind jedoch die, die man nicht als typisch für Depressionen empfinden würde, denn hier zeigt es sich durch Aggressivität und Substanzmissbrauch. Hier ist die Forschung und Versorgung einige Schritte weiter, wodurch erkannt wurde, dass Männer eine Depression haben können, wenn sie diese Symptome zeigen. Die medizinische Versorgung wird herausgefordert durch unterschiedliche Symptome.
I: Das ist spannend durch die Tücken, die es mit sich bringt. Als meine Oma damals an einem Herzinfarkt starb, erfuhren wir, dass sie davor bereits einige nicht erkannte Infarkte erlitt. Sie hatte das selbst nicht wahrgenommen. Es kann Leben retten, wenn beide Seiten besser über Anzeichen informiert werden.
B: Solche Geschichten höre ich oft. Die Unterschiede zeigen sich auch in der Statistik. Aber die Versorgung hat sich über die Jahrzehnte verbessert. Die Sterberate bei Herzinfarkten näherte sich ungefähr an durch den Erkenntnisgewinn.
I: Ja, ich denke auch, dass der Fortschritt erkennbar ist. Sie sprachen die Depression an. Sind psychische Erkrankungen unabhängig von ihren Anzeichen gleichmäßig auf beide Geschlechter verteilt?
B: Bei psychischen Störungen ist ein Unterschied zu sehen, da Frauen häufiger betroffen sind. Die Ursachenforschung stößt auf Hormonumstellungen wie Schwangerschaften oder Geburten. Dadurch sind Frauen vulnerabler für beispielsweise depressive Erkrankungen, zum Beispiel in Form des Babyblues. Die biologischen Voraussetzungen sind also unterschiedlich und dafür mitverantwortlich, dass Frauen öfter psychisch erkranken. Inzwischen ist aber auch bekannt, dass soziale, psychische Faktoren und Gewalterfahrungen eine Rolle spielen. Frauen sind öfter Gewaltopfer, was Auswirkungen hat. Ein weiterer Punkt ist die Diagnosenstellung. Bei gleicher Symptomatik wird laut Statistiken häufiger eine Diagnose bei Frauen und bei Männern eine somatische gestellt.
I: Das Ziel der Folge ist nicht, Rollenbilder zu stärken. In meiner Instagram Story erstellte ich eine Umfrage, ob die Zuschauer:innen Fragen zu dem Thema heute haben. Oft kam die Antwort, dass die Unterteilung in Männer- und Frauenkrankheiten altbacken sei, weswegen ich schmunzeln musste, denn für Gleichberechtigung stehe ich ein. Aber wir lernten ja nun, dass es Unterschiede gibt, wovor man nicht die Augen verschließen soll. Das Ziel der Folge ist, bei der Vorsorge von sich selbst und den Liebsten genauer hinzuschauen, um Anzeichen zu erkennen. Hat auf die gesundheitliche Lage auch Einfluss, ob eine Person homosexuell, intergeschlechtlich oder transidentitär ist?
B: Ja, auch das hat Einflüsse darauf. Hier werden sexuelle Orientierungen oder Identitäten beschrieben. Nichts davon ist krankmachend. Aber es kann ein Minoritätenstress entstehen, da man sich prozentual von der Masse abhebt. Die betroffenen Menschen sprechen oft von Nichtentsprechung gesellschaftlicher Normen, die zu Selbstzweifeln führen und Angst vor Ablehnung sowie Diskriminierungserfahrungen erlebt wurden, aber auch Gewalterfahrungen. Das kann die Psyche belasten. Aus Studien wissen wir, dass Lesben, Schwule und Bisexuelle häufiger zu Depressionen neigen als Heterosexuelle, laut Studien doppelt so oft. Das Suizidrisiko ist auch höher. Schön finde ich, dass es Studien gibt, die Ressourcen für gute psychische Gesundheit für Nichtheterosexuelle und Transidentitäre untersuchen. Hier wird ein unterstützendes soziales Umfeld benannt. Familie und Freunde können also dafür sorgen, dass es Menschen gutgeht.
I: Es gibt durchaus Unterschiede bei Frauen- und Männergesundheit. Spielen die sozialen Strukturen in den Ursachen eine größere Rolle als Genetik und Biologie?
B: Hier beginne ich mit einem Zitat von 1993 von Carol Hagemann-White. Sie sagt, Geschlecht sei nicht, was wir hätten oder seien, sondern, was wir täten. Das passt gut zu dem eben von mir Gesagten bezüglich der Lebenserwartung. Die genetische Ausstattung ist speziell für Männer und Frauen hinsichtlich der Hormone, Anatomie oder Reproduktion. Das macht einen Unterschied. Weibliche Sexualhormone sind ein Schutzfaktor für coronale Herzkrankheiten. Kommen Frauen in die Menopause, sinkt der Östrogenspiegel und der Schutz geht zurück. Biologische Unterschiede machen aber wie genannt nur ein Jahr Lebenserwartungsunterschiede aus. Soziale Faktoren sind der Rest. Dazu zwei Beispiele. Es existieren gesellschaftliche Vorstellungen für Frauen und Männer und dadurch wird das soziale Handeln in allen Lebensbereichen bestimmt. Das trifft unter anderem auf das Risikoverhalten zu. Aber auch auf Rollenbilder in der Familie, dem Beruf oder Vorstellungen, wie mit dem eigenen Körper umgegangen wird. Wie sensibel stellt man Symptome an sich fest, berichtet man das Ärzt:innen und nimmt man Hilfe in Anspruch? Die gute Nachricht daran ist, dass die Rollenvorstellungen von Frauen und Männern einem Wandel unterliegen. Unsere Großeltern hatten engere Bilder für ihr Verhalten, aber das ist heute anders, wodurch uns mehr Spielräume zu der heutigen Zeit offenstehen. Zum Beispiel in Sportarten, Nahrung, Familie und Arbeit. Da hat sich viel geändert. All das hängt mit Gesundheit zusammen.
I: Spannend. Das kennen wir alle aus unserem Umfeld, allein durch Hobbys, die durch eine Mehrheit ausgeführt werden. Uns ist bewusst, dass viele sich entgegen der Klischees verhalten. Aber es ist eine große Voraussetzung da durch die Sozialisation. Geht man davon aus, dass manches anerzogen ist und manches angeboren, müsste es Unterschiede geben, ab welchem Alter das eintritt. Wann ist bemerkbar, dass eine andere gesundheitliche Lage für Kinder und Jugendliche besteht?
B: Die Frage nach dem Beginn der Gesundheitsunterschiede ist interessant. Es gibt einen Gesundheitsbericht für Frauen von uns, der im Dezember 2020 fertig wurde. Während dieses Berichts dachten wir an das Aufspüren des Ursprungs. Deshalb gibt es in diesem dicken Bericht ein großes Kapitel zu der Mädchengesundheit. In diesem Kapitel haben wir aktuelle Daten und Fakten zusammengestellt, Statistiken, Studien. Und wir stellten fest, dass in dem Kindesalter Mädchen gesünder und medizinisch unauffälliger sind. Das beginnt bei der Säuglingssterblichkeit, die für Mädchen geringer ist. Werden die Kinder drei bis zehn Jahre alt, sehen wir in epidemiologischen Erhebungen, dass Mädchen weniger Asthma, Heuschnupfen, psychische Auffälligkeiten, Unfälle haben. Das sind häufige Gesundheitsprobleme in dem Kindesalter. Hier kann man fragen, ob es genetische Unterschiede oder soziale sind. Bei der Säuglingssterblichkeit oder auch Asthma oder Heuschnupfen spielen genetische Faktoren noch eine größere Rolle. Bei den Unterschieden bei Unfällen kann davon ausgegangen werden, dass es eine Mischung ist. Die motorische Entwicklung ist bei beiden unterschiedlich. Mädchen sind oft etwas geschickter. Aber auf der anderen Seite kennt man oft Szenen, in denen Mädchen auf dem Spielplatz mehr behütet werden. Den Jungs dagegen wird mehr Mut zugesprochen. Daher kann es auch sein, dass eher mal ein Unfall passiert. Also spielen auch bei Kindern die sozialen und biologischen Komponenten eine Rolle. Schaut man in das Jugendalter ab elf oder 13 Jahren, kehrt sich dieser Gesundheitsunterschied um. Hier sehen wir, dass Mädchen in Befragungen öfter von Schmerzen berichten oder über Schlafstörungen und Schwindel klagen, es gibt mehr Hinweise auf Essstörungen und Depressionen. Und sie nehmen mehr ambulante Serviceleistungen in Anspruch. Hier sieht man, wie sie in diese Frauenrolle reingehen, da das dem entspricht, was bei erwachsenen Frauen gesehen wird. Sogar in Bereichen wie Sport oder Ernährung sind Frauen und Mädchen ähnlich. Jungs machen mehr Sport. Mädchen essen mehr Obst und Gemüse.
I: Die unterschiedlichen Symptome führen zu jeweils besserem oder schlechterem Erkennen der Krankheitsbilder bei Männern oder Frauen. Es gibt viele Diagnostiken oder nichterkannte Krankheiten. Wie lässt das sich ändern?
B: Wenn man sich als Forscherin viele Jahre mit Männer- und Frauengesundheit beschäftigt, ist es ein wichtiges Anliegen, etwas zu ändern. Im Jahr 2020 wurde der Gesundheitsbericht publiziert, wie ich erwähnt habe. Genauso haben wir in 2014 einen Männergesundheitsbericht rausgebracht. Beide Berichte können gratis auf der Seite des Robert-Koch-Institutes heruntergeladen werden. Mit dieser Berichterstattung tragen wir unseren Teil bei, indem wir aktuelle Daten, Statistiken, Studien zusammenstellen. Das Gesehene wird erklärt und vereinfacht ausgedrückt. Mit diesen Berichten richten wir uns auch an die Politik. Ist ein solcher Bericht fertig, beginnt die Verbreitungsphase. Da sind wir viel auf Tagungen und Kongressen unterwegs, aber auch in der Praxis. Ich habe Ende November einen Vortrag in Dresden an einem Frauengesundheitszentrum. Meine Kollegin hat gerade vor einer Gruppe Gleichstellungsbeauftragter in der Region Berlin-Brandenburg vorgetragen. Wir sind auch in der Lehre präsent mit diesen Berichten. Ein weiterer Punkt ist das Thema Ausbildung, das auch dazu beitragen kann, dass sich etwas ändert. Mediziner:innen und alle im Gesundheitswesen tätige sollten Kenntnis über Geschlechterunterschiede haben. Da gibt es viele Initiativen und Forscher:innen, die sich darum kümmern, das Thema und den Bereich Gendermedizin in den Curricula der Medizinausbildungsgänge an Universitäten und Hochschulen zu etablieren. Aber da ist einiges zu tun, um diese Kenntnisse an junge Menschen heranzutragen, die später für die Versorgung zuständig sind. Der dritte Bereich ist der der Forschung und Vernetzung, da es durchaus Themen gibt in dem Bereich Männer- und Frauengesundheit, die noch nicht gut erforscht sind. Beispielsweise Arzneimittelversorgung. Wir wissen, dass bestimmte Arzneimittel jeweils anders wirken und andere Nebenwirkungen hervorbringen können. Da läuft Forschung, die auch nötig ist. Auch der Bereich Arzneimitteltestung. Viele Arzneimittel werden an jungen und gesunden Männern getestet. Werden diese in der Praxis bei hochaltrigen Frauen eingesetzt, können sich dabei andere Dinge ergeben. Und das ist eine Herausforderung für die Forschung, diesen Bereich abzudecken. Neben dem Forschungsbereich ist auch die Vernetzung Forschender ein wichtiger Punkt, was wir bei dem Frauenbericht feststellten. Die epidemiologische Forschung durch bevölkerungsweite Studien ist oft nicht gut verknüpft mir der sozialwissenschaftlichen Forschung, wo man unter anderem Verhaltensmotive erforscht. Beides muss zusammengebracht werden, um gut zu erklären, wieso zum Beispiel Männer mehr rauchen als Frauen. Diese Vernetzung der Forschung ist ein wichtiger Punkt. Zum Schluss möchte ich noch einen übergreifenden Punkt ansprechen. Man kann an den gesundheitlichen Unterschieden nur etwas ändern, wenn man das Thema Gleichstellung und Gerechtigkeit adressiert. Das und die Berücksichtigung davon in allen Versorgungs- und Lebensbereichen sind schließlich die Voraussetzungen für gesundheitliche Gleichheit zwischen Männern und Frauen. Hier ist die Politik stark gefragt.
I: Das sind viele wichtige Punkte gewesen. Vielen Dank, dass Sie sich so einsetzen, um Expert:innen unseres Landes weiter zu schulen, denn wir profitieren am Ende alle davon. Dass Sie heute in diesem Podcast sind, hilft auch. Warum ist es wichtig, auch uns dafür zu sensibilisieren?
B: Unter den Hörer:innen sind sicherlich einige dabei, die in dem Gesundheitswesen arbeiten. Für sie ist es ein fachlicher Input, der ihnen auf der Arbeit was nützt. Kenntnisse über die Verbindung von Geschlecht und Gesundheit sind auch für jede:n Einzelne:n wichtig, denn wenn man schaut, wie man selbst lebt, wie das Gesundheitsverhalten ist, und wieso Veränderungen einem schwerfallen, ist es hilfreich, Hintergrundinformationen zu haben. Vielleicht leitet sich durch eine Idee ab, was man selbst für die Gesundheit tun möchte und kann. Ergänzend dazu gilt das natürlich auch für die Familie, die Partner:innen, um sie besser zu verstehen, wenn man mehr Informationen hat.
I: Ja, sicher. Für mich war es spannend, auch die Vorbereitung und Ihre Antworten. Ich denke, es geht unseren Hörer:innen genauso. Abschließend würde ich gerne wissen, ob es etwas gibt, dass die Hörer:innen noch wissen sollten bei diesem Thema.
B: Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Geschlecht und Gesundheit eine enge Verbindung haben. Aber Gesundheit wird von anderen Faktoren mitbestimmt. Hier möchte ich die soziale Lage stark hervorheben. Ich hatte am Anfang was zu den Unterschieden der Lebenserwartungen gesagt. Das waren knapp fünf Jahre. Wenn wir in die Gruppe der Männer und Frauen reingehen, sehen wir beispielsweise innerhalb der Gruppe der Männer einen Unterschied von 8,6 Jahren, wenn wir Männer mit dem niedrigsten Einkommen und höchsten Einkommen vergleichen. Hier haben wir fünf Einkommensgruppen gebildet. Innerhalb einer Geschlechtergruppe bestehen große Unterschiede aufgrund der beruflichen und sozialen Lagen, des Gesundheitsverhalten. Bei Frauen sind die Unterschiede nicht ganz so groß. Es sind 4,4 Jahre zwischen der obersten und untersten Einkommensgruppe. Und nicht nur bei diesem härtesten Outcome der Gesundheit und der Lebenserwartung sehen wir diese Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen, sondern auch bei vielen verschiedenen Erkrankungen wie Depressionen. Die sind häufiger bei Frauen mit niedriger Bildung. Wir sehen es bei Rückenschmerzen und eben der gesamten Bewertung der eigenen Gesundheit. Bei vielen anderen Diagnosen auch. Besonders deutlich werden diese Unterschiede bei dem Gesundheitsverhalten wie Rauchen, Adipositas, Sport, Ernährung. Das führt zu dem Punkt, dass Geschlecht nicht alleine betrachtet werden soll. Sondern auch immer die Lebensbedingungen der Frauen und Männer. Ganz am Ende möchte ich ein Beispiel geben, dass es manchmal umgekehrt ist, dass ein Gesundheitsnachteil für geringer gebildete Frauen besteht aufgrund des Verhaltens. Vielleicht kann sich die eine oder andere auch an die eigene Nase fassen. Schaue ich in der Statistik in meine Altersgruppe, sehen wir, dass 25 Prozent der Frauen mit hoher Bildung riskantes Alkoholtrinkverhalten zeigen. Ein, zwei Gläser Wein an jedem Abend zählen dazu. Da kann jede für sich schauen, wo sie da steht und wo sie etwas ändern kann.
I: Vielen Dank für dieses tolle Interview, Doktor Anke-Christine Saß.
B: Es hat mir Spaß gemacht, mitzuwirken und die Erkenntnisse aus unserem Gesundheitsbericht breiter in die Öffentlichkeit zu bringen. Blieben Sie gesund.
I: Das war das Interview zu Frauen- und Männergesundheit. Wir hoffen, dass ihr etwas Nützliches davon mitnehmen konntet und sensibilisiert seid, auf die Unterschiede zu achten, gerade auch bei der Erkennung von Krankheiten. Wollt ihr keine Folge verpassen, abonniert unsren Kanal. Wir würden uns sehr über eine Bewertung und Feedback freuen.