I: Ilka Brühl
B: Anika Rötters
I: Herzlich willkommen zu Von Achtsam bis Zuckerfrei, dem Gesundheitspodcast der Audi BKK. In diesem widmen wir uns einer Vielzahl an Themen, die Körper und Geist betreffen. Schon wieder vor der Chefin in Erklärungsnot, beim schlechten Einparken beobachtet worden, mit Spinat zwischen den Zähnen herumgelaufen, eine Mahnung bekommen, die PIN der Bankkarte vergessen. Es gibt so viele Situationen, in denen wir negative Emotionen wie Wut, Angst, Scham, Trauer oder Eifersucht verspüren. Was sie alle gemeinsam haben, einen schlechten Ruf. Wir versuchen, sie zu vermeiden oder zu unterdrücken, weil sie unangenehm sind. Häufig ist das ein sinnvolles, kurzzeitiges Vorgehen, oft aber auch nicht möglich. Denn wir können uns noch so sehr abschirmen, vieles liegt einfach nicht in unserer Hand. Wäre es nicht sinnvoller, dass wir den richtigen Umgang mit herausfordernden Emotionen erlernen? Können wir eine Botschaft aus ihnen ziehen, die uns etwas über uns selbst verrät? All das wollen wir in dieser Podcastfolge klären und herausfinden, wie wir uns negativen Emotionen stellen und vielleicht sogar von ihnen profitieren können. Dazu sprechen wir mit Anika Rötters, Diplompsychologin und Gründerin von Psychotrainment. Hallo, liebe Annika, schön, dass du heute bei uns bist.
B: Hallo, Ilka.
I: Welche Emotionen werden als negativ angesehen und warum?
B: Das ist eine gute Frage. Zum einen haben wir Menschen ja verschiedene Emotionen. Die, die sich angenehm anfühlen und die, die sich unangenehm anfühlen. Und diese werden häufig auch als sogenannte negative Emotionen bezeichnet. Ich mag es allerdings lieber, nach dem Begriff von schweren und leichten Emotionen zu sprechen. Also die, die uns leichter fühlen lassen und die, in denen wir so richtig schwer werden. Wie zum Beispiel Angst, Stress oder auch Ekel und Wut. Die brauchen sehr viel Energie.
I: Das ist spannend, das habe ich noch nie gehört und es klingt sehr einleuchtend. Diese schweren Gefühle, so nenne ich sie auch direkt mal, warum haben wir die denn überhaupt?
B: Auf diese Frage gibt es verschiedene Antworten. Ich suche mir mal die evolutionspsychologische Sichtweise aus, dass wir diese schweren Gefühle brauchen, um uns zu beschützen. Tatsächlich heißen sie im Gefühle-Stern auch Beschützer-Gefühle. Die Wut, die schützt uns davor, dass einfach jemand über unsere Grenzen geht. Oder der Ekel, der schützt uns davor, etwas Vergiftetes zu essen zum Beispiel.
I: Okay, das heißt, es ist schon mit Berechtigung so, dass ich nicht den ganzen Tag wie ein kleines strahlendes Honigkuchenpferd durch die Gegend laufe. Es hat seinen Sinn.
B: Es hat höchstwahrscheinlich seinen Sinn. Und gerade die Gefühle, die wir als sehr, sehr unangenehm empfinden, die uns ganz viele Ressourcen und Kraft kosten, da lohnt es sich, oft hinzuschauen, was ist denn der tatsächliche Auslöser? Wovor will mich dieses Gefühl denn beschützen? Was kann ich vielleicht auch in meinem Leben verändern, damit ich nicht so viel Energie dafür verwenden muss, zum Beispiel so wütend zu sein?
I: Mit dem Verändern sprichst du schon einen sehr guten Punkt an. Denn diese negativen oder auch schweren Emotionen, die beeinflussen bestimmt unser Denken und unsere Entscheidungen, oder?
B: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, wir kennen alle die Situation, wenn wir sowieso schon keine Zeit haben und der Tag war lang und dann müssen wir noch schnell was einkaufen im Supermarkt. Und dann dauert es an unserer Kasse so endlos lang und wir werden immer ungeduldiger. Am Ende sind wir total gereizt und grüßen vielleicht noch nicht mal die Kassiererin. Auf der anderen Seite hat es bestimmt auch jeder schon mal erlebt, total entspannt im Urlaub an der Kasse zu stehen. Und da war uns vielleicht sogar egal, ob unsere Schlange länger ist oder die andere. Wir haben da vielleicht eher an sowas gedacht wie, warum sind die denn alle so unentspannt um uns herum? Das Setting spielt hier eine ganz, ganz wichtige Rolle. Was sind meine anderen Stressfaktoren an dem Tag? Inwiefern belastet mich das jetzt? Wie bewerte ich die Situation jetzt? Und so hängen die Gefühle und Gedanken ganz eng miteinander zusammen.
I: Das kann ich definitiv unterschreiben. Ich komme nämlich gerade aus dem Urlaub und plötzlich war alles gelassener, also es ist für mich sehr verständlich. Wie ist das denn mit unserer Gesellschaft generell? Wie denken wir über negative Emotionen oder welchen Ruf haben diese auch?
B: Für viele Menschen sind negative Emotionen erst mal etwas, was sie nicht haben wollen. Keiner ist gerne schlecht gelaunt, weil das auch so viel Kraft kostet, schlecht gelaunt zu sein, wütend zu sein, unruhig zu sein. Dementsprechend ist es in unserer Gesellschaft auch eigentlich eher verpönt. Wenn jemand wirklich seine Ungeduld an der Kasse heraushängen lässt, ist die Reaktion der anderen Kunden meistens, der hat sich aber nicht im Griff.
I: Das stimmt. Es hat so ein bisschen was Unkontrolliertes. Man denkt zwar immer, wir sind doch alles erwachsene Menschen, wir müssen doch unsere Gefühle komplett wegschließen können.
B: Oder wir müssten sie besser im Griff haben, besser kontrollieren können. Dabei hat das Gefühlserleben auch ganz viel damit zu tun, inwiefern es uns gelungen ist, unseren Tag bis zu diesem Zeitpunkt so zu gestalten, dass unsere Bedürfnisse immer wieder erfüllt und gesehen werden. Im Idealfall, dass wir uns gut um uns gekümmert haben. An einem idealen Tag sind wir aufgestanden, als wir wach geworden sind und haben etwas gefrühstückt, was uns guttat. Dann haben wir genug Bewegung und ausreichend Pausen, trinken genug Wasser und lassen uns von nichts stressen. Für die wenigsten von uns sind diese Tage Realität.
I: Auf jeden Fall, das hat man bedauerlicherweise auch nicht immer ganz in der Hand. Wie sieht es denn aus, wenn ich nicht mal einen schlechten Tag habe oder eine schlechte Phase, sondern eine sehr pessimistische Grundhaltung aufkommt? Wodurch entsteht sowas?
B: Da gibt es ganz verschiedene Erklärungsmöglichkeiten. Eine Erklärung, die ich sehr einleuchtend finde, ist, dass Gedankenmuster über eine gewisse Zeit entstehen. Und dass pessimistische Gedankenmuster auch erst mal entstanden sind aus einer Schutzfunktion heraus, um mich zum Beispiel davor zu bewahren, dass ich mich auf etwas freue, was dann doch nicht eintrifft. Dann können so Gedanken auftreten wie freue dich nicht zu früh. Oder warte noch mal ab, wer weiß, was noch passiert. Wenn das dann allerdings so als ständiger Gedanke erscheint, uns überall begleitet und wir gar nicht mehr genießen können, was uns guttut, dann ergibt es schon Sinn, daran zu arbeiten.
I: Ja, das klingt einleuchtend. Das heißt, es ist schon etwas Logisches oder Sinnvolles, dass ich optimistischer werde? Oder ist es auch in Ordnung, eine pessimistische Grundhaltung zu haben?
B: Es gibt ein, wie ich finde, sehr schönes Buch aus der positiven Psychologie von Professor Seligman. Das heißt, glaube ich, in der deutschen Übersetzung, Optimisten leben länger. Und es geht aber nicht darum, jetzt zu postulieren, dass wir alle optimistischer werden müssen, sondern letztendlich postuliert das Buch, dass wir sensibler damit umgehen, wie wir eigentlich sind. Nicht jeder Mensch ist dazu veranlagt, alles ganz optimistisch zu sehen und das müssen wir vielleicht auch gar nicht tun. Aber es kann schon sinnvoll sein, die eigene Perspektive von Zeit zu Zeit zu hinterfragen. Gerade wenn oft solche Gedanken kommen wie oh Gott, was könnte jetzt noch alles schiefgehen? Dem ganzen vielleicht nochmal die Frage entgegensetzen, was könnte denn jetzt eigentlich alles gut gehen?
I: Ja, die Frage habe ich auch ganz oft schon in meinem Leben gehabt, zum Beispiel auch bezüglich meiner selbstständigen Arbeit. Da weiß ich noch genau, dass mich so viele Leute immer gefragt haben, ob ich denn gar keine Angst davor habe, was alles schiefgehen kann. Und ich dachte immer, aber es kann ja auch so viel Tolles daraus resultieren, was ich mir sonst vorenthalte. Aber natürlich verstehe ich auch, woher die anderen Gedankengänge gekommen. Denn jeder hat, glaube ich, so Bereiche in seinem Leben, wo man ein bisschen sorgenvoller herangeht. Das finde ich auf jeden Fall sehr nachvollziehbar.
B: Und das kann ja auch sinnvoll sein, also gerade bei so einer großen Entscheidung, wie sich selbstständig zu machen, vorher mal zu überlegen, was kann realistisch alles schiefgehen? Auch um zu prüfen, was kann ich im Einzelfall tun? Denn je mehr ich vorher mal durchdacht habe, umso eher habe ich noch einen Plan B, Plan C, Plan D, falls was doch nicht so läuft wie geplant. Und gleichzeitig, wenn ich merke, meine Gedanken kreisen immer nur darum, was jetzt noch schiefgehen kann, dann kann es Sinn ergeben, dem auch mal so eine andere Frage entgegenzustellen. Ich glaube, Walt Disney war das, der mit den drei Denk-Zimmern gearbeitet hat. Also, dass er erst einen Kreativen losgeschickt hat, der wirklich sich alles überlegen konnte, wenn alles gut läuft in einer perfekten Welt, was ist umsetzbar? Und dann kam ein andere, der hat sich angeschaut, wie könnte man das denn so halbwegs realistisch umsetzen? Anschließend kam ein Pessimist, der sagte, okay, und wenn alles schiefgeht, was bleibt dann noch übrig? Am Ende ging es darum, zu schauen, was ist so ein realistischer Mittelwert? Was kann ich erreichen? Wofür brauche ich vielleicht ein bisschen Glück? Aber was ist vielleicht auch gar nicht so schlimm, wenn es nicht zu 100 Prozent perfekt ist am Ende?
I: Das ist total spannend, das wusste ich gar nicht, aber es klingt sehr einleuchtend. Man kennt es ja selber, wenn man Feuer und Flamme für etwas ist und dann kommt eine kritische Rückfrage. Hören will man sie zwar nicht, aber am Ende ist sie eigentlich immer sehr sinnvoll.
B: Zumindest ganz, ganz oft, hoffentlich.
I: Genau. Wie kann ich denn allgemein lernen, meine Emotionen besser zu regulieren?
B: Ein Weg wäre es, wenn wir beim Optimismus und beim Pessimismus bleiben, uns da bewusster zu machen, was typische Denkmuster sind. Also vielleicht auch tatsächlich mal sich abends hinzusetzen und zu reflektieren, was waren heute so die wichtigsten Positionen des Tages? Und was für Gedanken hatte ich da im Wesentlichen im Kopf? Um dann zu prüfen, sind die eher pessimistisch oder eher optimistisch? Wie ging es mir dabei, sowohl in der Situation als auch mit den Gedanken, die ich so hatte? Denn Arbeit mit Gefühlen ist immer auch Arbeit mit Gedanken und das ist beides nicht losgelöst vom Verhalten. Wir verhalten uns ja entsprechend auch, wie wir eine Situation eben bewerten. Deswegen kann es sinnvoll sein, mit der Grundhaltung anzufangen und sich zu überlegen, was ist denn überhaupt mein erster Impuls, mein erster Gedanke? Vielleicht hast du die Grundstimmung gerade. Was ist ein Gefühl, in das ich einfach gehe, in das ich mich vielleicht sogar regelrecht hineinstürze? Und wie hängt das zusammen mit meinem Tageserleben?
I: Das ist wirklich spannend, das werde ich mich jetzt öfter mal fragen. Wenn ich das dann identifiziert habe und feststelle, es ist vielleicht eine Stimmung, in die ich mich stürze, die ich eigentlich nicht haben will, wie würdest du damit umgehen?
B: Also, wenn ich die gar nicht haben will, ist es ja schon mal eine ganz spannende Bewertung, weil es mich erstmal davon distanziert.
I: Das stimmt.
B: Ich will die nicht haben. Da steckt ja auch so ein bisschen was darin, wie, die gehört jetzt nicht hier hin. Ich sollte mich ganz anders fühlen. Und da sind wir direkt bei einem ganz spannenden Punkt, zwischen echten Gefühlen und Pseudo-Gefühlen zu unterscheiden. Da gibt es ganz verschiedene Ansätze. Einer könnte sein, sich zu fragen, woher kommt denn das Gefühl jetzt? Ist das ein berechtigtes Gefühl? Kann ich das an der Situation festmachen? Oder fühlt es sich irgendwie irreal an, weil ich gar nicht weiß, was es genau ist? Also der Klassiker, es ist schönes Wetter, alle um mich herum haben gute Laune, warum bin ich so traurig? Das ist so ein echtes Gefühl und gleichzeitig eines, was sich nicht valide anfühlt, weil wir gar nicht wissen, wo es jetzt herkommt.
I: Ganz oft geht das auch mit einer gewissen Scham einher, dass man denkt, irgendwie bin ich falsch. Warum denken alle auf diese Art und Weise, nur ich nicht? Also gerade Scham kennen wahrscheinlich viele. Was sagt das denn über mich aus?
B: Scham ist quasi so ein Gefühl, womit die gedanklichen Bewertungen verknüpft sind. Wie du gerade schon gesagt hast, ich bin falsch oder mit mir stimmt etwas nicht. Etwas ist mit mir nicht in Ordnung. Ich bin verkehrt, ich bin anders als alle anderen. Warum kriegen die anderen das hin, aber ich nicht? Warum geht es nur mir so? Und das ist ganz häufig ein Gefühl, was mit einer Isolation so verbunden ist. Wenn wir uns schämen, dann isolieren wir uns innerlich von anderen Menschen, weil wir das Gefühl haben, das kann jetzt auch nur mir passieren. Das würde niemand anderem passieren. Alle anderen haben sich besser im Griff oder haben ihr Leben besser im Griff oder haben ihre Gefühle besser im Griff. Warum bin ich so? Wieso bin ich so falsch? Und ein Ansatz, wenn Menschen viel mit Schamgefühlen zu tun haben, kann sein, aus dieser Isolation herauszugehen und zum Beispiel mit dem Selbstmitgefühl nach Kristin Neff zu arbeiten. Dort ist es ein ganz wichtiger Schritt, sich bewusst zu machen, dass auch andere Menschen immer wieder schwere Gefühle haben. Auch anderen Menschen geht es schlecht. Vielleicht nicht immer und andauernd, aber jetzt, gerade in diesem Moment auf diesem Planeten bin ich nicht der einzige Mensch, dem es schlecht geht. Das ist jetzt auch wieder ganz spannend, denn der Satz kann ja in zwei Richtungen gehen. Wenn ich sowieso ganz hoffnungslos bin, in so eine Richtung führen, dass ich denke, oh Gott, die ganze Welt ist schlecht. Und wenn es anderen auch so schlecht geht wie mir, dann wäre das furchtbar. So kann man ja niemandem helfen. Oder der kann sich ganz tröstlich anfühlen, dass ich merke, dass andere Menschen leiden. Ich bin also nicht alleine damit. Dafür muss ich mich nicht schämen. Es darf mir auch mal schlecht gehen, ich darf auch mal einen schlechten Tag haben. Das ist in Ordnung und das gehört zum Leben dazu.
I: Durch deine Antwort habe ich das Gefühl, die Antwort auf die nächste Frage schon zu kennen. Ich möchte nämlich gerne wissen, ob es sinnvoller ist, sich abzulenken, wenn ich herausfordernde Gefühle habe oder mich diesen zu stellen?
B: Das ist auch eine gute Frage und ich finde, sie ist ganz schwierig, pauschal zu beantworten, denn es gibt Situationen... Also grundsätzlich kann man sagen, es ergibt Sinn, sich diesen Gefühlen zu stellen, über kurz oder lang. Denn es gibt ja Situationen, in denen kann es genauso sinnvoll sein, das Gefühl einmal kurz wegzuschieben. Das ist auch so etwas wie zum Beispiel Wut, weil jemand gerade extrem über die eigenen Bedürfnisse geht. Ich wollte eigentlich jetzt meine Mittagspause machen und dann kommt der Chef hinein oder die Chefin und sagt hier, das muss in den nächsten 20 Minuten erledigt sein. Und dann antworte ich, jetzt mache ich aber meine Mittagspause. Dann sagt die Person, das tut mir leid, Sie können danach die Mittagspause verlängern, aber das muss jetzt erledigt werden. Das darf mich erst mal wütend machen, denn ich habe jetzt ein Bedürfnis nach Pause und das wird gerade massiv übergangen. Gleichzeitig bringt es in den meisten Fällen wenig, die Wut jetzt am Chef oder der Chefin auszulassen. In diesem Moment ergibt es Sinn, zu sagen, ich mache mal kurz das Päckchen zu und lege das hier vorne hin. Ich kümmere mich darum und mache danach meine Pause. Anschließend plane ich mir einen Termin mit dem Chef oder der Chefin ein, um über Pausenstruktur zu kommunizieren und zu sagen, dass das nicht geht, zum Beispiel.
I: Ja, das stimmt. Manchmal ergibt es Sinn, sich erst mal abzulenken und dann auf Dauer sich dem zu stellen. Das kann ich mir gut vorstellen.
B: Ablenkung ist keine Dauerstrategie. Wenn ich ein Gefühl immer wieder wegdrücke, dann kommt es immer wieder. Solange der Auslöser dafür, das Bedürfnis dahinter, nicht gesehen, nicht erfüllt wird, wird es immer wieder auftreten. Möglicherweise auch heftiger und mehr in Situationen, wo es fehl am Platz ist. Zum Beispiel der Ausraster im Supermarkt an der Kasse. Das ist ja häufig nicht wirklich der Grund, dass es heute etwas länger dauert an der Kasse. Sondern da sind vorher schon so viele Dinge passiert, wo der Mensch sich nicht gesehen gefühlt hat und dann rastet er aus an der Supermarktkasse. Denn genau jetzt hat er die Zeit und keiner kann sich wehren.
I: Das kenne ich auf jeden Fall auch, das haben wir wahrscheinlich alle schon öfter mal im Umfeld miterlebt und dann immer verwundert geguckt, weil man denkt, warum hast du nicht früher etwas gesagt, bevor es so ausgeartet ist?
B: Das ist doch jetzt kein Grund, sich so aufzuregen, ist ja auch so ein schöner Satz. Wo die Person, die sich aufregt, oft auch denkt, nein, ist es auch nicht. Ich rege mich wegen 1000 Dingen auf, aber das war jetzt der Tropfen, der hat das Fass zum Überlaufen gebracht.
I: Ganz genau, richtig. Wir sind ja ein Gesundheitspodcast, deswegen würde es mich wahnsinnig interessieren, welche Auswirkungen haben denn die herausfordernden Gefühle auf unsere Gesundheit?
B: Wenn wir sehr, sehr viele schwierige Gefühle erleben und quasi der ganze Alltag sich anfühlt, als ob wir nur noch kämpfen müssen, an allen Fronten kämpfen, dann ist das natürlich auch anstrengend und in gewisser Weise ein Stressfaktor. Dieser Stressfaktor kann sich nicht nur auf die Psyche auswirken, sondern auch auf den Körper. Wenn wir permanent unter Anspannung stehen, uns permanent gestresst fühlen, dann kann sich das darauf auswirken, dass unser Herzkreislauf, dass unser Blutdruck quasi erhöht ist, schon im ganz normalen Zustand, ohne dass wir uns bewegen. Es kann sich auf die Atmung auswirken, welche dann flacher wird. Auch kann es zu Spannungskopfschmerzen, Stresskopfschmerzen oder Verspannungen im Rücken und der Halswirbelsäule kommen, was dann auch problematisch werden kann. Und das sind ja, ich wollte witzigerweise sagen, aber es ist eigentlich überhaupt nicht witzig, es ist traurig, denn es sind die größten Gesundheitsrisiken. Wenn wir uns mal so Burnout-Risiken angucken, dann haben wir Psyche und so Halswirbelsäulen- und Rückenerkrankungen ganz vorne dabei. Vieles davon wird durch Stress definitiv unterstützt. Also, Stress ist nicht hilfreich.
I: Das glaube ich. Wir kennen das ja alle, dass man sich selber dabei ertappt, wenn man gestresst ist, alleine, wie man anders sitzt, wie man die Zähne vielleicht zusammenbeißt. Die ganzen Spätfolgen kennt man ja auch aus dem Umfeld. Leute, die sehr gestresst waren, ihr ganzes Leben lang, die dann Herzprobleme bekommen haben und so weiter. Hat es auch Auswirkungen auf mein Immunsystem? Ich habe immer das Gefühl, wenn ich gestresster bin, bin ich auch öfter krank.
B: Tatsächlich gibt es eine immunsuppressive Wirkung von Stress und dazu gibt es das Modell von Hans Selye. Man könnte heute sagen, der Großvater der Stressforschung. Der hat das Modell aufgestellt, das sogenannte Adaptationsmodell oder Adaptationssyndrom. Das entsteht, wenn unser Körper in die Stressreaktion geht, dann mobilisieren wir Energien und Kräfte. Ganz oft fangen Psychologen jetzt an mit dem Bild des Säbelzahntigers, der vor der Höhle stand und dann mussten wir entweder kämpfen oder schneller rennen als irgendetwas anderes. Wir brauchen auf jeden Fall ganz, ganz viele Ressourcen, Reserven. Und das ist super, dass der Körper ganz viele Energiereserven mobilisieren kann, kurzfristig. Gleichzeitig ist das aber nur eine kurzfristige Strategie. Der Körper ist auch darauf angewiesen, dass der Säbelzahntiger irgendwann weg ist oder besiegt ist, damit wir wieder in die Entspannung gehen können. Und in unserem heutigen Alltag gibt es wenige Säbelzahntiger, dafür viele Stressoren, die uns über eine längere Zeit begleiten. Konflikte am Arbeitsplatz zum Beispiel. Das kann so ein Stressor sein, der halt permanent dafür sorgt, dass wir immer angespannt sind, wenn wir arbeiten, wenn wir an Arbeit denken, wenn das Telefon klingelt, wenn ein bestimmter Kollege oder eine Kollegin zur Tür hereinkommt. Falls wir da nicht mehr herauskommen, nicht mehr in die Erholung kommen, dann ist der Körper quasi permanent wie auf der Reserve unterwegs. Irgendwann kann er nicht mehr, dann fällt der Körper quasi in die Entspannung. Aber es ist keine Entspannung im Sinne von Erholung, sondern nur eine Entspannung, solange bis wieder genug Energie da ist, um zurück in die Spannung zu springen. Das ist quasi Raubbau an unseren eigenen Ressourcen. Und wenn wir in diesem System drin sind und quasi unsere Notreserve in den Alltag fest eingeplant haben, dann wirkt sich das tatsächlich auch immunsuppressiv aus. Menschen, das menschliche Immunsystem kann durch Stress tatsächlich geschwächt werden. Das kennen auch viele Menschen, dass sie zum Beispiel in so einer extremen Leistungsphase wie einer Prüfungsphase oder gegen Ende des Jahres, wenn dann die Jahresbilanz ansteht im Unternehmen. Dann müssen irgendwie alle da sein und alle kämpfen sich irgendwie durch. Sobald das abgegeben ist, ist die Hälfte der Belegschaft erst mal krank. Nicht, weil die jetzt krank machen, sondern weil die wirklich dann raus aus dem Stress sind. Der Körper, der geht nicht in die Erholung, sondern der hat schon einen kleinen Virus entdeckt und das Immunsystem war schon geschwächt durch den Stress und jetzt greift die Krankheit halt zu.
I: Ja, das stimmt, das kennt man auf jeden Fall. Es ist ja, glaube ich, auch als Manager-Krankheit bekannt. Wenn Manager Urlaub machen, dass sie dann erst mal einen Herzinfarkt bekommen oder ähnliches.
B: Dass sie erst mal krank werden, ja. Ist ja dann auch mit dem Ruhestand so. Ganz, ganz viele Menschen, wenn sie in den Ruhestand gehen, da gibt es so eine kritische Periode. Ich weiß nicht genau, wie lange sie ist. Sie ist nicht besonders lange, zwei Jahre oder drei Jahre. Und wenn man die Zeit überlebt und es schafft, sich seinen Alltag umzustrukturieren, dann ist es gut. Aber nicht wenige Leute bauen auch in diesen ein, zwei, drei Jahren so stark ab, dass danach gar nicht mehr so viel Ruhestand zum Genießen übrig bleibt.
I: Deswegen wollen wir ja Methoden kennenlernen, wie wir dem vorbeugen können. Und da würde mich interessieren, was sind denn so Methoden und Therapien, die für die Bewältigung von schwierigen Emotionen sinnvoll sind?
B: Es gibt ja in der Psychologie an therapeutischen Techniken so zwei, drei große Strömungen. Die Verhaltenstherapie auf der einen Seite und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie auf der anderen Seite. Dann gibt es auch noch den systemischen Ansatz. Wo allerdings alle mit Patienten arbeiten, wo schon eine Diagnose vorliegt. Dieser Stress-Bereich, und wie gehe ich mit meinen eigenen Gefühlen um, meinen Gedanken um? Der ist allerdings einer, den ich auch auf jeden Fall in der Prävention anordnen würde. Denn hier können wir schon so viel bewegen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wir alle kennen die stressigen Phasen, wir kennen die unangenehmen, die schweren Gefühle. Und ich glaube, je früher wir uns damit auseinandersetzen, was eigentlich Gefühle sind, wie sie entstehen, wie Gefühle, Gedanken und Verhalten zusammenhängen und wie wir das auch steuern können, umso besser ist es für die ganze Gesellschaft.
I: Definitiv. Prävention ist wichtig. Was gibt es denn da für Möglichkeiten?
B: Zum Beispiel gibt es ja Stress-Präventionsprogramme. Diese findet man häufig auch über die Webseiten der Krankenkassen. Stress-Präventionsprogramme, das kann über eine App laufen oder tatsächlich über begleitete Kurse. Ich zum Beispiel biete so einen ZPP zertifizierten Kurs an. Das nennt sich Resilienz-Training zur Stressbewältigung. Da widmen wir uns der Stressbewältigung über die Resilienz-Faktoren. Das hat ganz viel mit Achtsamkeit und Selbstfürsorge zu tun, schauen uns aber auch an, zum Beispiel Optimismus und Pessimismus. Oder auch Verantwortung übernehmen, beziehungsweise auch Verantwortung mal gezielt nicht übernehmen. Denn wer viel Verantwortung übernimmt, der lädt sich möglicherweise auch den Teller manchmal ein bisschen voller, als da eigentlich Platz auf dem Teller wäre.
I: Ja, das kennen wir wahrscheinlich alle. Gibt es denn eigentlich auch Sachen, die vielleicht viele von uns sowieso machen, wie Achtsamkeit, Yoga oder Meditation, die da helfen können?
B: Ich sage immer ganz gerne, atmen tun wir ja sowieso alle ständig. Und hier kann man ganz, ganz klein anfangen, auch wenn es nur fünf Minuten am Tag sind, bewusst auf die eigene Atmung zu achten. Zum Beispiel immer zu schauen, wie atme ich gerade? Atme ich gerade durch den Mund ein? Dann atme ich tendenziell eher flacher. Wie sieht es mit meinen Atem-Räumen aus, wenn ich mal probiere, überall hinzuatmen? Also mal wirklich bewusst in den Bauchraum und dann auch die Lungen und das Zwerchfell vielleicht auch mal spüren. Es muss ja gar nicht lange sein, drei, vier, fünf Minuten darauf konzentrieren, länger auszuatmen, als wir einatmen. Und vielleicht zwischendurch mal ganz kurz die Luft anhalten, um einfach mal bewusst zu spüren, was passiert hier eigentlich gerade in mir? Das ist oft erstaunlich, welche Wirkung das schon hat auf unseren gesamten Körper, wenn wir uns nur mal ein paar Minuten auf die Atmung konzentrieren.
I: Da beginne ich auch direkt zu atmen und verpasse hier fast meinen Einsatz. Also, das Atmen ist wirklich mächtig, das hört man ja auch in diversesten Kontexten immer und immer wieder. Wir kommen später ja auch noch dazu, ob du vielleicht eine kleine Übung für uns hast. Aber da jetzt kurz noch die Überleitung dazu, was eigentlich negative Emotionen oder schwere Emotionen über mich als Person aussagen, wenn ich vielleicht immer an mir zweifle.
B: Wenn du immer an dir zweifelst, das ist ja zum Beispiel jetzt keine richtige Emotion. An sich zu zweifeln, da ist ja die Frage, was steckt dahinter? Ist das eine Angst, die dahintersteckt, dass da immer so Gedanken sind wie das schaffe ich bestimmt nicht, ich werde versagen? Oder ist da vielleicht auch so eine Art Hoffnungslosigkeit? Das ist ja sowieso unmöglich. Und ich kann das gar nicht schaffen. Oder ist das Scham? Alle anderen können das, aber ich nicht. Mit mir stimmt etwas nicht. Vielleicht auch so ein Frust, egal was ich mache, das bringt ja eh nichts. Da kann ganz viel hinter stecken. Und ich habe jetzt mal bewusst eher an negative Dinge gedacht, weil, wenn wir vor Freude und Glück strahlen, da zweifeln wir ja in der Regel etwas weniger an uns. Wenn du jetzt grundsätzlich dazu neigst, eher zu denken, was kann hier eigentlich alles schiefgehen? Oder eben auch zu zweifeln, dann kann es so sein, dass die Pessimistin in dir einfach grundsätzlich ein bisschen lauter ist. Und das ist überhaupt nicht schlimm, solange du grundsätzlich auch optimistische Gedanken denken kannst und deine pessimistischen Gedanken immer mal wieder validieren kannst. Um zu prüfen, ist das jetzt tatsächlich sinnvoll, das so kritisch zu sehen? Oder kann ich es in dem Fall auch einfach lassen? Das einfach könnte man eigentlich streichen, weil wenn es leicht wäre, müsste man es ja nicht üben.
I: Das stimmt. Meistens ist es in der Theorie wesentlich einfacher als in der Realität umsetzbar. Ich hatte selber nicht unbedingt immer ein gutes Selbstwertgefühl und jetzt habe ich ein ganz normales, deshalb würde ich sagen, man kann ja daran arbeiten, dass man selber etwas mutiger wird, dass man seinen Selbstwert verbessert. Und genau da kommen wir jetzt zu dem Punkt einer Übung. Hast du eine Idee, was ich eben in meinem Alltag integrieren kann, wenn ich ganz oft mit diesen schweren Emotionen oder wie wir gerade gesagt haben, Scham und so weiterzukämpfen habe?
B: Eine ganz einfache Sache, die jeder von uns in den Alltag integrieren kann und ich glaube auch viel öfter integrieren sollte, ist so die kurze Zwischenfrage, immer mal wieder im Alltag, tut mir das hier eigentlich gut? Oder was müsste ich verändern, damit es mir jetzt in dieser Situation gut geht? Also, was würde mir jetzt eigentlich guttun? Und das ist eine Frage, die sich die meisten Menschen, mit denen ich in Kontakt komme, meiner Erfahrung nach, viel zu selten stellen. Was tut mir eigentlich gerade gut? Was brauche ich eigentlich gerade? Und oft merken Menschen das nicht so direkt, dass sie permanent über ihre eigenen Bedürfnisse hinweggehen, sondern merken es dann eben an so Sachen wie, ich habe so viel Stress. Ich habe ganz oft Kopfschmerzen. Es ergibt natürlich auch Sinn, diese Kopfschmerzen medizinisch abklären zu lassen. Aber gerade, wenn man viel Stress erlebt, das Gefühl hat, man kann gar nicht mehr abschalten. Das Gedankenkarussell dreht sich, man wacht nachts um halb drei auf und kriegt irgendwie die Gedanken an die Steuererklärung nicht aus dem Kopf. Dann ist es eine richtig gute Frage, tut mir das jetzt gerade gut? Und wenn die Antwort auf diese Frage nein lautet, kann die nächste Frage sein, kann ich es dann für den Moment zumindest mal zurückstellen?
I: Und auch, was kann ich dann dauerhaft vielleicht ändern? Ich kann absolut unterschreiben, wie wichtig das ist und wie gerne man es zur Seite schiebt. Das merke ich jetzt, seitdem ich Mutter bin, immer und immer wieder, dass ich mich viel öfter bewusst hinsetze, dass ich manchmal eine herausfordernde Situation vor mir habe und erst denke, ja, da kann ich jetzt nichts daran ändern. Da muss ich durch, wie wahrscheinlich 99 Prozent der Menschen auch. Und dann, wenn ich gerade die Möglichkeit habe, schalte ich aber immer einen Gang zurück und frage mich nochmal, nein, warum eigentlich? Tut mir das gerade gut? Nein? Okay, was kann ich ändern? Und mir ist auch aufgefallen, oft komme ich alleine nicht so darauf, was mir eigentlich nicht guttut. Im Gespräch mit anderen, wenn man dann vielleicht auch Beispiele hört oder man sich einfach den Ball so zuschießt, dann merke ich immer wieder, Moment mal, das könnte es sein. Mit vielen Menschen darüber reden, ist bei mir auf jeden Fall etwas, was mir sehr stark hilft, mir klar zu werden, was mir eigentlich guttut.
B: Das ist auch etwas, was ich im Kurs immer wieder erlebe, dass hier ganz viele Einzelpersonen ankommen und jeder am Anfang so ein bisschen denkt, oh Gott, jetzt habe ich mich hier für so einen Kurs angemeldet. Was denken die anderen von mir? Und dann kommen sie hier an und erzählen so ihre Geschichten und auch wenn es ganz heterogene Gruppen sind, mit den unterschiedlichsten Anforderungen oder Herausforderungen. Sie stellen dann in der Regel ganz schnell fest, okay, die anderen haben auch alle diese Gedanken. Die gehen auch nicht immer freundlich mit sich um, die haben auch Stress. Sie lassen sich manchmal von Dingen aus der Ruhe bringen, wo man objektiv sagen würde, das ist jetzt aber eigentlich gar nicht so schlimm. Wobei das ja dann auch wieder eine Bewertung ist, die von außen kommt. Ob es schlimm ist, wissen wir nur in uns drin.
I: Und weil die Theorie das eine und die Praxis noch mal etwas ganz anderes ist, hat die Audi BKK ein breites Angebot an verschiedenen Leistungen für dich, mit denen du an deinen eigenen negativen oder schweren Emotionen arbeiten kannst. Klick dafür einfach mal in die Shownotes und du findest weitere Informationen. Ob dieser Podcast positive oder negative Emotionen in dir hervorgerufen hat, kannst du uns sehr gerne mit einer Bewertung auf einem Podcastplayer deiner Wahl mitteilen. Und vergiss nicht, uns zu abonnieren, um nicht zu verpassen, wenn der Podcast nach der Sommerpause weitergeht, denn im Juli und August wünschen wir euch einen wunderbaren Sommer. Erholt euch gut. Und dann geht es im September wieder weiter mit Von Achtsam bis Zuckerfrei, eurem Gesundheitspodcast, der Audi BKK.