Die Corona-Pandemie stellt, neben zahlreichen kostenintensiven Reform-
gesetzen der letzten Legislaturperiode, für die solide Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) - somit auch für die neue Bundesregierung - eine große Herausforderung dar.
Während die beitragspflichtigen Einnahmen der Jahre 2012 bis 2019 jeweils zum Vorjahr zwischen 3,9 und 4,4 Prozent erfreulich stiegen, konnte für das Jahr 2020 pandemiebedingt nur ein Zuwachs von 2,1 Prozent verzeichnet werden. Im Jahr 2022 werden ebenfalls nur um 2,4 Prozent steigende Beitragseinnahmen erwartet.
Auf der anderen Seite entwickeln sich die Gesamtausgaben kontinuierlich mit einer Veränderungsrate zwischen 4 bis 5 Prozent gegenüber den Vorjahren. Für das Jahr 2022 nimmt der Schätzerkreis des Bundesamtes für Soziale Sicherung eine Steigerung der Leistungsausgaben von 4,5 Prozent an, wodurch sich die Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben verfestigt.
Den Schätzungen nach ist für das Jahr 2022 mit einem Überschuss der Ausgaben von rund 27,5 Mrd. Euro zu rechnen.
Zum Ausgleich des Finanzdefizites müsste der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz im Jahr 2022 auf 1,7 Prozent angehoben werden. Um diesen beträchtlichen Beitragsanstieg für Versicherte und Arbeitgeber zu vermeiden, hatte der Bund bereits im Sommer 2021 einen ergänzenden Bundeszuschuss von 7 Mrd. Euro festgelegt (2020: 3,5 Mrd. Euro; 2021: 5 Mrd. Euro).
Da sich die bisherige Bundesregierung auch für eine „Sozialgarantie 2022“ (Begrenzung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent) aussprach, wurden anschließend im Oktober 2021 weitere 7 Mrd. Euro beschlossen, sodass der ergänzende Bundzuschuss für das Jahr 2022 insgesamt 14 Mrd. Euro beträgt.
Damit leistet der Bund einen erheblichen Beitrag, eine schnelle konjunkturelle Erholung der Wirtschaft nicht durch erheblich stärker steigende Zusatzbeitragssätze zu gefährden.
Neben den ergänzenden Bundeszuschüssen mussten auch die Krankenkassen im Jahr 2021 ihre gebildeten Finanzreserven zur Liquidität des Gesundheitsfonds und zur Stabilisierung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes in nicht unerheblichem Umfang abschmelzen. Insgesamt wurden 8 Mrd. Euro von den Krankenkassen an den Gesundheitsfonds transferiert.
Zudem wurden die Krankenkassen zusätzlich über das Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung (GPVG) gesetzlich verpflichtet, ihre Vermögensstände oberhalb von 0,8 Monatsausgaben ab 2021 über drei Jahre abzubauen.
Den Schätzungen nach werden im Jahr 2022 das vierte Jahr in Folge die Ausgaben die Beitragseinnahmen deutlich übersteigen (aufgrund der ausgabenträchtigen Reformen der letzten Jahre und der Pandemie) und schlussendlich auch Ende 2022 die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds auf die gesetzliche Mindestreserve von 4,3 Mrd. Euro abgeschmolzen sein.
Die neue Bunderegierung steht somit vor der großen Herausforderung, zukünftig die Finanzlücke der Ausgaben- und Einnahmenentwicklung zu schließen bzw. zu finanzieren.
Fraglich ist daher, wie lang bei der derzeitigen Ausgabendynamik und den konjunkturbedingten verminderten Beitragseinnahmen am bisherigen Ziel der Sozialgarantie (Lohnnebenkosten) festgehalten werden kann.
Im Juni 2021 wurde eine neue Pflegereform beschlossen. Erste Regelungen sind bereits in Kraft, die meisten folgen zum 1. Januar 2022. Unter anderem erhalten Pflegebedürftige, die in vollstationären Einrichtungen leben, einen Zuschuss zum Eigenanteil für Pflegeaufwendungen. Die Beträge für Pflegesachleistungen und Kurzzeitpflege werden erhöht und Pflegekräfte sollen zukünftig eine bessere Bezahlung erhalten. Ab dem 1. September 2022 werden zudem nur noch Pflegeeinrichtungen zur Versorgung zugelassen, die ihre Pflegekräfte nach Tarif vergüten.
Für die Finanzierung der Pflegereform wurde ein Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro für das Jahr 2022 vorgesehen, sowie die Erhöhung des Zuschlages für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkte auf 0,35 Prozent.
Die gesetzliche Rentenversicherung berichtete über leicht gestiegene Beitragseinnahmen im Jahr 2020 - trotz Pandemie. Auch für 2021 wird nach Schätzungen mit einer Erhöhung der Beitragseinnahmen aus Pflichtbeiträgen um 1,9 Prozent gerechnet. Der Beitragssatz bleibt daher mindestens für das Jahr 2022 konstant, bevor eine geringe Erhöhung auf 18,7 Prozent im Jahr 2023 erforderlich werden könnte. Die gesetzlich geregelte Haltelinie des Beitragssatzes (maximal 20 Prozent bis 2025) sollte zudem aus heutiger Sicht nicht erreicht, bzw. somit hierfür auch keine zusätzlichen Bundesmittel benötigt werden.
Im Jahr 2020 musste die Bundesagentur für Arbeit 61 Mrd. Euro aufbringen, um die Folgen der Pandemie am Arbeits-markt abzufangen. Hierbei wurden allein für das Kurzarbeitergeld (KUG) inkl. der Erstattung der Arbeitgeberanteile an den SV-Beiträgen 22,1 Mrd. Euro ausgezahlt. Zum Vergleich: 2009 fielen in der Finanzkrise 8,5 Mrd. Euro für KUG an.
Nach Abzug der Beitragseinnahmen ergab sich 2020 ein Defizit von 27,3 Mrd. Euro, das größtenteils über die vorhandene Rücklage von knapp 26 Mrd. Euro (Stand Ende 2019) abgefangen werden konnte.
Die hohen Ausgaben setzten sich dieses Jahr fort. Bereits Mitte des Jahres wurde ein weiteres hohes Defizit von 23 Mrd. Euro für 2021 ermittelt. Zur weiteren Liquidität wäre ein Zuschuss von ca. 17 Mrd. Euro des Bundes erforderlich. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch der erneute Anstieg der Kurzarbeit in der Auto- und Metallindustrie in den Herbstmonaten, aufgrund eines weltweiten „Chip-Mangels“, noch nicht absehbar.
Der Beitragssatz bleibt dennoch aufgrund einer gesetzlichen Befristung bis 31.12.2022 unverändert. Nach § 341 SGB III soll der Beitragssatz dauerhaft bei 2,6 Prozent liegen.
Die Insolvenzgeldumlage wird durch eine Rechtsverordnung auf 0,09 Prozent gesenkt (2021 = 0,12 Prozent).
Die Künstlersozialabgabe bleibt 2022 durch den Einsatz zusätzlicher Bundesmittel bei 4,2 Prozent.